Bundesarbeitsministerium legt Ge­setzentwurf zur Zeiterfassung vor

Vertrauensarbeitszeit soll möglich bleiben - Weite Gestaltungsspielräume für Tarifparteien geplant

Wie Sie vermutlich den Medien entnommen haben, hat das Bundesarbeitsministerium einen Gesetzentwurf zur Neuregelung der arbeitszeitgesetzlichen Zeiterfassungspflicht vorgelegt (nachstehend „ArbZG-E“).

Es handelt sich um einen sog. Referentenentwurf, der nun in die regierungsinterne Abstimmung geht, bevor er in den Bundestag eingebracht wird. Es ist deshalb davon auszugehen, dass dieser Entwurf nicht „1:1“ als Gesetz vom Bundestag verabschiedet wird. Der Entwurf lässt aber erkennen, welche „Marschrichtung“ die Bundesregierung bei der Novellierung des Arbeitszeitgesetzes einschlägt. Wir informieren Sie deshalb über die wesentlichen Inhalte (Ziff. 1-9) des Entwurfs und die potenziellen Konsequenzen für den Fall der Umsetzung und ziehe ein erstes Resümee (Ziff. 10).

2. Aufbewahrungsfrist und Auskunftsanspruch des Arbeitnehmers

  • Die Aufzeichnungen sind für die Dauer der im Geltungsbereich des ArbZG tatsächlich beschäftigten Arbeitnehmer, maximal jedoch zwei Jahre, in deutscher Sprache bereitzuhalten.
  • Außerdem hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf Verlangen über die aufgezeichnete Arbeitszeit zu informieren und dem Arbeitnehmer auf Verlangen eine Kopie der Aufzeichnungen zur Verfügung zu stellen (§ 16 Abs. 5 ArbZG-E). Die Nichterfüllung dieses Auskunftsverlangens soll - wie auch Verstöße gegen die Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten - bußgeldbewehrt sein (§ 22 Abs. 1 Nr. 9 u. 10 ArbZG-E). Angesichts der Vorgaben des EuGH-Urteils zur Zeiterfassung ist diese Regelung konsequent und dürfte in der Praxis keine allzu großen Schwierigkeiten bereiten. Nach der Entwurfsbegründung wäre eine elektronische Kopie ausreichend.

4. Keine Verpflichtung zur Führung eines Arbeitszeitkontos

  • Die Erfassung von Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit ist ausreichend. Eine Saldierung der geleisteten Arbeitszeit gegenüber der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit im Sinne eines laufenden Arbeitszeitkontos für Plus- und Minusstunden ist nach dem Entwurf nicht (!) erforderlich.
  • Auch die Entwurfsbegründung betont, dass die Verpflichtung zur Zeiterfassung der Einhaltung des Arbeitszeitschutzrechts dient. Ein Verzicht des Arbeitgebers auf die Kontrolle der Einhaltung der Vertragsarbeitszeit ist davon nicht berührt (siehe auch nachstehend Ziff. 5).

6. Tarifvertragliche Ermächtigung zur Herausnahme von Arbeitnehmergruppen aus der Zeiterfassungspflicht, Regelung nichtelektronischer Zeiterfassung und Aufzeichnungsfrist

  • Der vom BMAS vorgelegte Gesetzentwurf enthält weite Gestaltungsspielräume für abweichende tarifvertragliche Regelungen. So sollen Tarifparteien Arbeitnehmer vom Geltungsbereich der gesetzlichen Zeiterfassungspflicht ausnehmen können, wenn die gesamte Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen oder nicht im Voraus festgelegt wird oder von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann (§ 16 Abs. 7 Nr. 3 ArbZG-E).
  • Diese Regelung würde den Tarifparteien weite Möglichkeiten eröffnen, Arbeitnehmergruppen „aufzeichnungsfrei“ zu stellen. Je nach Auslegung der letztgenannten Tatbestandsalternative („… von den Arbeitnehmern selbst festgelegt …“) könnte dies für erhebliche Teile der Arbeitnehmerschaft mit eigenverantwortlich gestalteter flexibler Tagesarbeitszeit gelten. Der Entwurf greift dabei erkennbar die in der EU-Arbeitszeitrichtlinie enthaltene Öffnungsklausel zur „Herausnahme“ von Arbeitnehmern auf. Im Unterschied zum Text der EU-Richtlinie werden aber die in der Richtlinie enthaltenen Regelbeispiele (leitende Angestellte oder sonstige Personen mit selbstständiger Entscheidungsbefugnis; Arbeitskräfte, die Familienangehörige sind; Arbeitnehmer, die im liturgischen Bereich von Kirchen oder Religionsgemeinschaften beschäftigt sind) nicht erwähnt. Die Entwurfsbegründung nennt in diesem Zusammenhang dagegen beispielhaft „Führungskräfte, herausgehobene Experten oder Wissenschaftler“. Die Regelung würde damit für den Fall der Umsetzung erhebliche Auslegungsfragen aufwerfen, welche Arbeitnehmergruppen unionsrechtskonform noch zulässig von der Erfassungspflicht ausgenommen werden dürfen.
  • Im Übrigen würde die Herausnahme von Arbeitnehmergruppen nichts an der Geltung der materiellen Regelungen des Arbeitszeitgesetzes (Höchstarbeitszeit, Pause, Ruhezeit etc.) für die betroffenen Arbeitnehmer ändern. Eine effektive aufsichtsbehördliche Kontrolle der Einhaltung von Arbeitszeitschutzbestimmungen wäre dann aber de facto kaum noch durchführbar bzw. würde entsprechende aufsichtsbehördliche Aufzeichnungsanordnungen (die weiterhin möglich wären) voraussetzen.
  • Abweichungen sind nach dem Entwurf auch vom Gebot elektronischer Zeiterfassung und der taggleichen Aufzeichnung zulässig: Die Aufzeichnung kann auch in nichtelektronischer Form (z.B. durch einen händisch geführten Arbeitszeitnachweis auf Papier) erfolgen; eine Aufzeichnung spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages wäre noch zulässig (§ 16 Abs. 7 Nr. 2 u. 3 ArbZG-E).

8. Übergangsfristen für mittlere Betriebe und Erleichterungen für Kleinbetriebe und Privathaushalte

  • Der Gesetzentwurf sieht für alle Arbeitgeber eine einjährige Übergangsfrist zur Einführung der elektronischen Zeiterfassung vor; bis dahin könnte die Erfassung von Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit also auch nichtelektronisch erfolgen. Für Betriebe mit weniger als 250 Arbeitnehmern soll diese Übergangsfrist 2 Jahre dauern; für Betriebe mit weniger als 50 Arbeitnehmern sogar 5 Jahre.
  • In Betrieben mit bis zu 10 Arbeitnehmern sowie für Arbeitnehmer in Privathaushalten könnte die Aufzeichnung auch unabhängig von einer tarifvertraglichen Regelung dauerhaft in nichtelektronischer Form erfolgen (§ 16 Abs. 8 ArbZG-E).

10. Resümee und Ausblick

  • Das EuGH-Urteil, das den EU-Staaten aufgab, Arbeitgeber zu verpflichten, „ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“ ist inzwischen fast vier Jahre alt. Vor diesem Hintergrund ist allein schon positiv, dass nun überhaupt ein Gesetzentwurf zur Umsetzung auf dem Tisch des Bundeskabinetts liegt und die in der Praxis verbreitete Ungewissheit über Art und Ausmaß der Umsetzung der EuGH-Vorgaben absehbar ein Ende finden dürfte. Dass die Zeit einer weitgehend aufzeichnungsfreien Arbeitszeitwelt (völlig aufzeichnungsfrei war sie ja auch bisher nicht) früher oder später vorbei sein würde, war seit dem EuGH-Urteil 2019 klar. Insofern beinhaltet der Entwurf keine grundsätzlichen Überraschungen.
  • Der vorgelegte Referentenentwurf lässt dabei den Betrieben - auch ohne Tarifbindung - erhebliche Gestaltungsspielräume zur Umsetzung der Zeiterfassungspflicht. Die von manchen befürchtete Verpflichtung zur Einführung einer „Stechuhr“ und/oder minutengenauen Erfassung von Lage und Dauer jeder einzelnen Pause ist nicht geplant. Insoweit kann man den Entwurf als pragmatisch bezeichnen. Im Detail lässt er allerdings bei den angedachten Optionen der Beschränkung auf eine Verstoßkontrolle und der genauen Reichweite zulässiger tarifvertraglicher Ausnahmen allerdings noch erhebliche inhaltliche und systematische Fragen offen.
  • Die Verpflichtung zur Erfassung von Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit wirft insbesondere für „Randzeiten“ der Arbeitszeit (z.B. Reise-, Umkleide- und Schichtübergabezeiten, ebenso Wegezeiten bei Rufbereitschaftseinsätzen) unabhängig von ihrer Vergütung stärker als früher die Frage nach der Abgrenzung von Arbeitszeit im Sinne des ArbZG auf; dies gilt auch für die Arbeitszeiten der wissenschaftlich und künstlerisch Beschäftigten. Hier würde die Praxis von einer Präzisierung des schutzrechtlichen Begriffs der Arbeitszeit durch den Gesetzgeber profitieren. Nach dem jetzigen Stand sieht es danach aus, dass die Rechtsprechung (auch) an dieser Stelle als „Ersatzgesetzgeber“ bemüht werden wird.
  • Der Entwurf beschränkt sich auf die Umsetzung der Vorgaben des Unionsrechts; dabei schlägt er die richtige Richtung ein und vermeidet übermäßige Bürokratie. Forderungen nach einer Ausweitung der Flexibilisierung der täglichen Arbeitszeitgestaltung, etwa für die flexiblere Handhabung von Ruhezeiten bei mobiler Arbeit, greift der Entwurf allerdings nicht auf. Die von den Koalitionsparteien in der Koalitionsvereinbarung angekündigten „Experimentierräume“ bleiben jedenfalls nach dem Willen des Bundesarbeitsministers fürs Erste verschlossen. Es bleibt die Hoffnung, dass das Bonmot für den parlamentarischen Umgang mit Gesetzentwürfen weiterhin gilt: „Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es in ihn hineinkam.“
Geschrieben von: RA Dr. Christian Schlottfeldt
Spezialist für Arbeitszeitrecht und Arbeitszeitgestaltung, Mediator (DAA), ArbeitsZEITkanzlei, Berlin

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