Design Thinking als Mindset, Methode und Werkzeugkasten

Im Kern zielt dieses Mindset darauf ab, neue Lösungen immer von menschlichen Bedürfnissen her zu denken. Wir fragen zuerst danach, in welchen Situationen, auf welchen Ebenen und zu welchen Zeiten unsere Zielgruppe in ihrem Wohlbefinden eingeschränkt ist. Und erst dann, wenn wir konkrete Bedürfnisse identifiziert haben, fragen wir nach der Machbarkeit und der Wirtschaftlichkeit.

Die Innensicht des Unternehmens überwinden

Design Thinking hat mittlerweile außergewöhnliche Popularität gewonnen – mehr als viele andere Methoden der Innovation. Das liegt zum einen an der Bekanntheit der Personen dahinter: David Kelley, seines Zeichens Professor an der University of Stanford und Mitgründer der Designfirma IDEO, ist einer der großen, geistigen Väter von Design Thinking. Und Hasso Plattner, der SAP-Mitgründer, hat seinen Einfluss für die Verbreitung der Methode eingesetzt.

Der andere Grund ist der, dass Firmen, sobald sie eine gewisse Größe erreicht haben, die Nutzer der angebotenen Produkte und Dienstleistungen etwas aus den Augen verlieren. Wenn eine Gruppe von Menschen, in unserem Fall eben ein Unternehmen, immer größer wird, wendet sich der Blick der einzelnen Personen zwangsläufig auch mehr und mehr nach Innen. Was auch okay ist, solange die Beteiligten nicht vergessen, dass nur der Erfolg beim Kunden das Unternehmen überhaupt erst möglich macht.

Design Thinking kombiniert nun Kreativprozesse und Werkzeuge aus unterschiedlichen Quellen mit dem Gedanken, den Menschen als Anwender in den Fokus zu rücken, wenn wir Lösungen und Angebote entwickeln. Daher hatte es seinen Ursprung in der Entwicklung von Produkten, Dienstleistungen und Geschäftsmodellen – allesamt auf konkrete Zielgruppen bezogen und von diesen abhängig. Mit steigender Bekanntheit haben dann immer mehr Menschen Design Thinking für sich entdeckt und haben es adaptiert, sodass zumindest Elemente davon auch in ganz anderen Bereichen Mehrwert stiften. Das führt aber auch zu dem Problem, dass das ursprüngliche Konzept oft „zerstückelt“ wird, also nur Teile davon zur Anwendung kommen. Der Name Design Thinking wird aber, in den meisten Fällen, unkritisch weiterverwendet. Das führt zu Verwirrung, die sich auch darin zeigt, dass immer mehr Unternehmen Design Thinking enttäuscht und frustriert wieder aufgeben.

Wenn wir das Ganze nüchtern und mit etwas Abstand betrachten, merken wir aber schnell, dass es gar nicht so kompliziert sein muss.

Design Thinking als Mindset

Im Ursprung war Design Thinking als eine Art Mindset gedacht. Der Name beinhaltet ja bereits „Thinking“, verweist also auf eine bestimmte Art des Denkens. Die ersten Bücher zum Design Thinking haben sich vor allem damit befasst, wie Designer, insbesondere die Kollegen bei der Firma IDEO, an Probleme herangehen und neue, überraschende Lösungen entwickeln. Damit war Design Thinking der Versuch, diese Art des Denkens und Handelns greifbar zu machen, damit andere es für sich übernehmen und nutzen können.

Im Kern zielt dieses Mindset darauf ab, neue Lösungen immer von menschlichen Bedürfnissen her zu denken. Wir fragen zuerst danach, in welchen Situationen, auf welchen Ebenen und zu welchen Zeiten unsere Zielgruppe in ihrem Wohlbefinden eingeschränkt ist. Und erst dann, wenn wir konkrete Bedürfnisse identifiziert haben, fragen wir nach der Machbarkeit und der Wirtschaftlichkeit. Damit stellt Design Thinking die eher technologie-zentrierte Vorgehensweise mancher Ingenieure auf den Kopf, die gerne und schnell in Lösungen denken, dabei aber gern aus den Augen verlieren, was der Mensch damit überhaupt anfangen soll.

Natürlich können wir Innovation auch von der Technologie her anpacken. Das wurde oft so gemacht und hat zu spannenden Ergebnissen geführt. Mit Design Thinking wollen wir auch nicht alle anderen Denkmodelle ersetzen, sondern sie ergänzen und bereichern. Gleichzeitig bleibt Design Thinking als Mindset naturgemäß etwas vage. Eine Art des Denkens kann man eben nur umschreiben und andeuten – und sich im Idealfall dann zu eigen machen, durch Ausprobieren, Reflektieren und Hinterfragen. Auf dem Weg in die Wirtschaftswelt, und insbesondere auch an den Design Schools in Stanford und Potsdam, wurde aber schnell klar, dass der Erstkontakt mit Design Thinking konkretere Formen braucht.

Design Thinking als Projektmethode

Aus dem Mindset entsponn sich, eng an die Arbeitsweisen von IDEO angelehnt, eine Art Projektmethode, mit gemischten Teams und einem Kreativprozess im Zentrum. Designer hatten sich schon sehr viel früher mit Kreativwerkzeugen auseinandergesetzt, so auch die Gründer und Pioniere bei IDEO. Auch Kreativprozesse gab es schon, hatten sich Psychologen schon seit den 50er Jahren mit menschlicher Kreativität auseinandergesetzt. Mit solchen Prozessmodellen als Vorbild arbeiteten die Vordenker des Design Thinking einen Prozess heraus, der das oben beschriebene Mindset adressierte. Im Grunde folgt der Prozess einer einfachen Logik: Zuerst beleuchten wir die zugrundeliegende Thematik gründlich, um sie zu verstehen. Dann beobachten und befragen wir Menschen, die in das Thema involviert oder davon betroffen sind. Wir führen die Informationen in einer Synthese zusammen und entwickeln Fragestellungen, die wir kreativ beantworten können. Das Resultat sind erste Ideen und Lösungsansätze. Aus diesen erstellen wir erste Prototypen, die wir dann wieder mit den Menschen im entsprechenden Kontext testen. Ungeachtet der leicht abweichenden Varianten, die heute in Gebrauch sind, ist der Prozess auch nach wie vor der Kern der Design Thinking Methode.

Das zweite Standbein von IDEO war, nach eigener Ansicht, das interdisziplinäre Team als Basis für Innovationsprojekte. Der Design Thinking Prozess sieht vor, dass ein Team geschlossen von der Verstehens-Phase am Anfang bis zu den Tests der Prototypen zusammenarbeitet. Damit folgt es der Logik der Agilität: Möglichst wenig Schnittstellen innerhalb eines Prozesses, damit keine Informationen verlorengehen. Für die einzelnen Prozessschritte brauchen wir aber doch unterschiedliche Expertise. Und die meisten Themen erfordern durch ihre Komplexität Wissen aus ganz verschiedenen Disziplinen. Daher sieht Design Thinking für Innovationsprojekte ein cross-funktionales, interdisziplinäres Team vor. Im Idealfall sind die Teammitglieder sogenannte „T-shaped people“: Wie der Buchstabe „T“ haben sie bei einem einzelnen Thema ein tiefes Wissen erlangt (der vertikale Strich), sie verfügen gleichzeitig aber über eine breite Wissensbasis (der horizontale Strich), um anschlussfähig an andere Disziplinen zu bleiben.

Damit eine derartig bunt gemischte Gruppe effektiv arbeiten kann, brauchen wir Strukturen und Vorgehensweisen im Team. Kreative Arbeit erfordert, entgegen landläufiger Vorstellungen, ein gehöriges Maß an Planung und Disziplin – umso mehr, wenn wir mit anderen gemeinsam kreativ arbeiten wollen.

Design Thinking als Werkzeugkasten

Um mit dieser Situation klar zu kommen, haben Designer schon lange auf Werkzeuge der Kollaboration und Kreativität zurückgegriffen. Solche Denkwerkzeuge liefern Handlungsanweisungen, die verhindern, dass sich eine Gruppe in Details verheddert oder unnötig Zeit in Diskussionen über die Vorgehensweise verliert. Dementsprechend ist mit Design Thinking mittlerweile ein großer Werkzeugkasten verknüpft, deren Inhalte die einzelnen Prozessschritte und die spezielle Arbeitsweise eines interdisziplinären Teams unterstützen. Welche Werkzeuge wann und wie zum Einsatz kommen, ist dabei sehr stark vom Kontext sowie von den Vorlieben und Erfahrungen der beteiligten Personen abhängig.

Als Werkzeugkasten ist Design sehr offen. Es spricht auch nichts dagegen, mit Elementen anderer Methoden zu experimentieren, wenn deren Anwendung einen Mehrwert für das Team verspricht. Die meisten Werkzeuge stammen allerdings direkt oder indirekt aus der Anthropologie, der Kreativitätsforschung und dem UX Design.

Welche Art von Design Thinking brauchen wir?

Alle drei Ebenen von Design Thinking können im Unternehmenskontext relevant sein. Das ist vermutlich aber auch genau einer der Gründe dafür, dass Design Thinking als Maßnahme in vielen Unternehmen scheitert. Nicht wenige erliegen der Versuchung, einfach mal Design Thinking zu „machen“, in der Hoffnung, dass einer der obigen Aspekte schon etwas bringen wird. Diese Art des „drei-in-einem“-Denkens führt aber zu Problemen. Wir verlagern damit nämlich die Entscheidung, wann und wo mit Design Thinking gearbeitet wird, ans Ende der Entscheidungskette. Es stellt sich dann aber die Frage: Dürfen die Leute dort überhaupt derartige Entscheidungen treffen?

Besser wäre es, wenn wir uns überlegen, was wir genau brauchen. Geht es um ein nutzerzentriertes Mindset für die Kollegen und Teams entlang der Wertschöpfungskette? Dann kann Design Thinking sehr hilfreich sein. Brauchen wir eine neue Methode für Innovationsprojekte? Auch das ist ein Volltreffer. Und als letztes: Gibt es Kollegen, die vom Werkzeugkasten des Design Thinking profitieren würden? Hier kann auf breitem Feld ein Mehrwert für unser Unternehmen entstehen. In allen drei Fällen gilt aber, dass wir uns überlegen müssen, welche Auswirkungen die Einführung einer neuen Vorgehensweise haben wird. Neue, veränderte Denkmuster bedeuten auch, dass sich die Art der Zusammenarbeit ändern wird. Wenn Teams mit Design Thinking arbeiten, muss geklärt werden, an welchen Themen sie aktiv werden dürfen. Und wir müssen uns fragen, woher die Ressourcen für das Team kommen, und wie wir die Autonomie der Teams schützen? Es geht, wie so oft, um eine sorgfältig geprüfte Erwartungshaltung. Wer sich eine Projektarbeitsweise – mit allen daran gekoppelten Aspekten – erhofft, wird sonst enttäuscht, wenn es „nur“ um Impulse und einzelne Werkzeuge geht.

Wenn wir uns aber pragmatisch und vernünftig mit Design Thinking auseinandersetzen, kommen wir schnell an einen Punkt, an dem wir Mehrwert für uns entdecken können. Dann kann das Mindset, die Methode oder auch der Werkzeugkasten des Design Thinking für uns eine außergewöhnliche Hilfe im Arbeitsalltag darstellen.

Geschrieben von: Daniel Barth

berät als Innovation Coach bei creaffective bekannte Konzerne im In- und Ausland. Daniel hat als Berater zahlreiche Innovationsprojekte begleitet, u. a. in der Softwareentwicklung, im Mediengeschäft und im Kunststoffgewerbe.